DAS MÖRDERSPIEL | DER ZWEITE ROMY-SCHELL-KRIMI
Verlag | Aschendorff-Verlag, Münster
Erscheinungsdatum | 2005
LESEPROBE:
Ich hielt den Hörer noch ans Ohr, als auf der anderen Seite längst aufgelegt worden war. Atemlos lauschte ich auf das Rauschen der Stille. Hatte ich eigentlich freudig bejaht – oder etwa nur in stummer Ergriffenheit genickt? War meine Zustimmung dynamisch-forsch durch den Hörer gedrungen – oder etwa klein und verzagt? Hatte meine Stimme überzeugend geklungen – oder hatte sie mein Herzklopfen verraten? Hatte ich nicht verhehlen können, dass mein Detektivbüro noch in den Kinderschuhen steckte?
„Mama! Komm endlich!“
Wie war sie überhaupt auf mich gekommen?
„Mama! Es geht los!“
Morgen Nachmittag im Hotel Mövenpick! Ob ich mir für diesen Anlass ein paar Schuhe kaufen sollte? Was hatte ich überhaupt anzuziehen?
„Mama! Der Vorspann ist gleich abgelaufen!“
Der Vorspann? Himmel, die Doku-Soap! „Ich komme!“
Als ich ins Wohnzimmer trat, tastete Christopher über den Videorecorder, um noch einmal alle Einstellungen zu überprüfen, Alexandra saß da und himmelte den Fernseher an.
„Ich möchte auch mal berühmt werden“, seufzte sie.
„Fang erst mal mit der nächsten Versetzung an“, entgegnete ich. „Wer die zehnte Klasse nicht schafft, wird dadurch jedenfalls nicht berühmt.“ Ich sah in Alexandras verdrossenes Gesicht und dachte an meine Mutter, der es auch häufig gelungen war, mir mit solchen Bemerkungen vorübergehend die Lebensfreude zu nehmen. Dabei wollte ich doch niemals werden wie meine Mutter. „Apropos berühmt...“, versuchte ich abzulenken. „Ich hatte da gerade ein interessantes Telefongespräch...“
„Still!“, zischte Christopher. „Papa hat gesagt, er kommt gleich nach der Anmoderation dran.“
Auf der Mattscheibe erschien eine attraktive blonde Dame mit aufregender Frisur, kunstvollem Make-up und einem Kostüm, in dem ich mir sogar auf der Konfirmation meiner Kinder overdressed vorgekommen wäre. Eine Superfrau! So, wie Ingo es mochte. So, wie ich es nicht war. Die Superfrau berichtete, dass die Doku-Soap, die der Sender allwöchentlich ausstrahlte, von Millionen mit Spannung erwartet wurde. Die Arbeit der Polizei sei eben für die Bürger draußen vor den Bildschirmen überaus interessant. „Heute steht unsere Kamera in Münster. Wir sind zu Gast bei der Kriminalpolizei, Hauptkommissar Ingo Schell wird uns einen Einblick in seine Arbeit geben.“
Ingo erschien auf dem Bildschirm, lächelte unsicher in die Kamera, heftete dann den Blick auf die Moderatorin, die ihn äußerst wohlwollend betrachtete. Das kannte ich. Wie oft ich auf irgendwelchen Partys herumgesessen und mir angesehen hatte, wie Ingo von Superfrauen wohlwollend betrachtet wurde, ist nicht mehr zu zählen. Aber was wunderte es mich? Ich war ja ebenfalls auf ihn reingefallen. Ich wusste genau, dass ich, als ich ihn kennen lernte, genauso verzückt an seinen Lippen hing wie diese Superfrau. Seine samtenen braunen Augen, die dunklen Locken, die immer verwuschelt aussahen, der treuherzige Blick, der kein Wässerlein trüben konnte! Jedenfalls mochte man das glauben, wenn man Ingo noch nicht gut kannte. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er schon manches Wässerlein getrübt hatte. Und genau deshalb wohnte Ingo seit ein paar Monaten nicht mehr bei uns.
Die Superfrau verkündete strahlend, dass die Aufklärungsquote der Kriminalpolizei von Münster außergewöhnlich hoch sei. Dann folgte die Kamera Ingo in eine unordentliche Wohnung, in der ein Tatverdächtiger vermutet wurde, sie ging nahe an ihn heran, als er mit scharfer Stimme treffsichere Fragen stellte, und folgte ihm ins Polizeipräsidium, als er nach langen, anstrengenden Stunden an diversen Tatorten die Früchte seiner Ermittlungsarbeit in sein Büro trug. Beeindruckend!
Das fand die Superfrau auch. Sie kommentierte jeden Schritt Ingos mit anerkennenden Worten und entließ die Zuschauer in die Werbepause mit dem Eindruck, dass es die Ganoven in Münster nicht leicht hatten.
„Hört mal zu! Ich hatte gerade einen Anruf...“
Christopher rannte ins Badezimmer, Alexandra in die Küche zum Kühlschrank. „Später, Mama!“
Ich erhob mich, ging zum Papageienkäfig und klapperte mit den Fingernägeln an den Gitterstäben herum. „Willst du vielleicht hören, wer mich angerufen hat, Humphrey?“
Der Papagei rückte heran, legte den Kopf schräg und entgegnete: „Kaffee und Cognac, aber zack-zack!“
Die Toilettenspülung rauschte, die Colaflasche zischte, sowohl Christopher als auch Alexandra erschienen wieder im Wohnzimmer. Sie ließen keinen Blick von der lila Kuh, die auf der Mattscheibe graste.
„Ihr ratet nie, wer mich eben angerufen hat.“
„Später, Mama!“
Christophers Finger vibrierte über der Taste des Videorecorders, die er drücken würde, sobald die Werbepause zu Ende war, Alexandra setzte die Colaflasche an den Mund.