Die Leuchtturm Haie
Leseprobe
Inga ist davon überzeugt, dass sie sich am allermeisten freut. Unmöglich, dass sich irgendjemand noch mehr freut als sie. Mehr geht ja gar nicht! Heute wird sie endlich Seehunde aus der Nähe sehen. Vielleicht sogar streicheln! Natürlich hat sie schon mal einen Seehundskopf aus der Nordsee auftauchen sehen oder bei einer Bootsfahrt ein paar der Tiere auf einer Sandbank entdeckt. Aber dies hier ist etwas ganz anderes.
Die Seehundstation von Heringsbüttel ist umgeben von einer riesigen Gartenanlage mit vielen Bassins. Dort tummeln sich große und kleine Seehunde und bei gutem Wetter kann man sie vom Beckenrand aus beobachten. Erst vor ein paar Wochen wurde die Station eröffnet. Seitdem hat Inga auf ihre Lehrerin Frau Friedrichsen eingeredet, dass sie einen Klassenausflug dorthin machen.
Jetzt hat es endlich geklappt und die 3a ist heute Mittag zusammen mit der 3b und der 3c von zwei Bussen abgeholt und zu der neuen Anlage am Rande des kleinen Ortes gefahren worden. Inga hofft, dass es vor allem viele von den kleinen Heulern, den Seehundbabys, geben wird. Vor lauter Aufregung hüpft sie auf einem Bein hinter ihren Klassenkameraden her durch den Eingangsbereich. Auf zwei Beinen zu laufen, das ist ihr in so einem spannenden Moment viel zu einfach.
Ein hochgewachsener Tierpfleger mit roten, wuscheligen Haaren und Bart nimmt die Klassen im Empfang und führt sie zum Aufzuchtbereich. Dabei erklärt er, was passieren kann, wenn sich eine Robbe in einem Fischernetz verfängt. Inga hört auf zu hopsen, als sie erfährt, wie gefährlich die Fischernetze für die Robben werden können. Auch im Hafen von Heringsbüttel liegen einige Fischkutter, die immer frühmorgens aufs Meer hinausfahren. Auf dem Nachhauseweg nach der Schule sieht Inga die Fischer oft Krabben und Heringe direkt vom Boot aus verkaufen. Im Hafen steht auch die Fischbude von Onkel Otto. Inga kennt nichts Besseres, als ein Krabbenbrötchen direkt an der Mole zu essen, wo man den Möwen immer mal einen Happen zuwerfen kann. Inga schluckt. Nicht, weil ihr das Wasser im Mund zusammenläuft, sondern weil sie an die armen Robben denken muss, für die die Fischernetze so gefährlich sind.
„So, jetzt kommen wir zu den Aufzuchtbecken“, ruft der rothaarige Tierpfleger in diesem Moment. „Hier beherbergen wir momentan sechs Robbenbabys im Alter von drei bis acht Monaten.“
Inga fängt wieder an zu hüpfen, bis ein Junge mit Basecap sie in die Seite rempelt und zur ihr sagt: „Hör auf, du nervst.“ Das ist Hannes aus der 3b. Er hält sich immer für besonders cool, aber Inga beeindruckt er damit nicht. Sie zuckt nur mit den Schultern und bleibt vor einem der Schaukästen stehen.
„Nicht den Anschluss verlieren!“, ruft ihr Frau Friedrichsen zu, während die Klasse in den nächsten Gang abbiegt. Inga will auf keinen Fall den Anschluss verlieren. Jetzt, wo es zu den Seehundbabys geht. Aber dann zieht etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie vergisst, den anderen weiter zu folgen ...