Der Mann ist das Problem

Pendo-Verlag (Piper), September 2015

Siegfrieds Stimme war leise, sehr leise. Nur deshalb wurde ich auf sein Telefongespräch aufmerksam. Normalerweise redete mein Mann laut, mit volltönender, meist sogar dröhnender Stimme. Hätte er sie erhoben, hätte er seine Stimme donnern lassen, dann wären die Worte hinter der Tür seines Arbeitszimmers an meinem Ohr vorbeigerauscht. Ich wäre davon ausgegangen, dass er die Praktikantin seiner Rechtsanwaltskanzlei zur Schnecke machte, einem gegnerischen Anwalt die Meinung sagte oder einen aufmüpfigen Mandanten in seine Schranken wies. All das interessierte mich nicht. Ich wäre in die Küche gegangen, hätte mich um belegte Brote und nicht um Siegfrieds Worte gekümmert. Aber als ich ihn flüstern hörte, war ich alarmiert. Vorsichtig stellte ich den Einkaufskorb ab, mit dem ich gerade das Haus betreten hatte, und lauschte.
„Ich habe alles vorbereitet, es kann nichts schiefgehen. Die Zeit ist zwar knapp, aber es wird gehen. Morgen hat meine Frau Geburtstag, am Nachmittag kann ich das Ding abholen.“
Eine Geburtstagsüberraschung also! Natürlich wollte ich meinem Mann und auch mir selbst die Überraschung nicht verderben, aber … meine Neugier war einfach stärker. Was mochte Siegfried sich ausgedacht haben? Hoffentlich nichts Teures. Die Party, die wir in einem angesagten Restaurant feiern wollten, würde schon Unsummen verschlingen. Aber Siegfried hatte gesagt: „Ganz oder gar nicht! Wenn wir feiern, dann richtig. Oder sollen unsere Freunde denken, dass wir pleite sind?“
Nein, pleite waren wir nicht. Aber so vermögend, wie alle glaubten, waren wir längst nicht mehr. Wenn jemandem in den letzten Monaten ein entsprechender Verdacht gekommen war, sollte er morgen widerlegt werden!
„Ich regle das schon“, hörte ich Siegfried sagen. „Es kann nichts mehr schiefgehen. Nach der Geburtstagsparty ist Zeit genug, um die Sache zum Abschluss zu bringen.“
Was konnte er damit meinen? Eine Reise, die er erst buchen wollte, wenn er sicher war, dass mir das Reiseziel gefiel? Oder ein Schmuckstück, bei dessen Wahl er seinem eigenen Geschmack nicht traute?
Er schwieg eine Weile, hörte wohl seinem Gesprächspartner zu. Dann lachte er, auch das sehr leise, und sagte: „Ich werde es sein, der den Kurs vorgibt, ist ja wohl klar. Und ich bestimme auch, wann es losgeht.“
Ich! Er hatte so eine Art, dieses Ich zu betonen. Als ich ihn kennenlernte, war ich sicher, dass es männlich war, sich für alles zuständig zu erklären, alles Wichtige selbst zu erledigen, als Einziger etwas Schwieriges zu schaffen und dafür natürlich dem Ich eine große Bedeutung zu geben. Mir selbst wäre das nie gelungen. „Sei immer hübsch bescheiden, dann mag dich jeder leiden.“ Dieses Sprichwort hatte ich mehr als einmal von meiner Mutter gehört und auf ihr Anraten in jedes Poesiealbum geschrieben. Nur gelegentlich hatte ich protestiert, indem ich mich für einen anderen Spruch entschied: „Komm, lass uns träumen im Mondenschein von Liebe und Glück und Seligsein.“ Ich fand den Reim äußerst gelungen und konnte den missbilligenden Blick meiner Mutter nicht verstehen.
„Unsinn!“, sagte Siegfried nun, und seine Stimme klang spöttisch. „Von sowas hat meine Frau keine Ahnung.“
Ärgerlich nahm ich den Einkaufskorb wieder auf und machte mir nicht die Mühe, zur Küchentür zu schleichen. Ich ließ meine Pfennigabsätze knallen und warf die Tür hinter mir ins Schloss. Klar, ich hatte von nichts eine Ahnung. Ich war ja nur eine Hausfrau, hatte nichts Unwichtigeres getan, als drei Kinder großzuziehen, das Haus in Schuss und den Garten in Ordnung zu halten. Aber gut, ich verdiente kein eigenes Geld, ich wusste nicht, wie die Welt der Erwerbstätigen sich drehte, hatte mich nie gegen konkurrierende Kollegen durchsetzen und mich nie einem Vorgesetzten beugen müssen. Ich gab das Geld meines Mannes aus, nie mein eigenes, und hatte nicht einmal daran gedacht, mir eine Kontovollmacht ausstellen zu lassen. Ich war ein Anhängsel! Mehr nicht!
Mein Selbstbewusstsein wand sich mal wieder am Boden. Ich hatte es Franziska genannt, weil das ein stolzer Name war, mit kräftigen Konsonanten und drei ausdrucksvollen Silben. Die männliche Form Franz war ein Abklatsch von Franziska, eine jämmerliche Silbe, kurz und deftig, ohne jede Eleganz, gleichgültig, welche Herrscher diesen Namen getragen hatten. Königlich war nicht Franz, sondern Franziska. Und ihre Majestät, mein Selbstbewusstsein, redete mir seit Jahren ein, mir die Krone nicht ständig vom Kopf nehmen zu lassen.   
Ich packte meine Einkäufe aus und warf, was keinen Schaden nehmen konnte, zornig auf den Tisch. Siegfried wollte also mal wieder den Kurs vorgeben und mir etwas aufdrücken, von dem ich keine Ahnung hatte. War er etwa auf die Idee gekommen, mir einen Segeltörn zu schenken? Na, dann wusste ich nun Bescheid. Er würde das Steuer in der Hand halten, er würde bestimmen, wie die Segel gesetzt wurden, wie das Ziel hieß und wann wir ablegen würden. Dabei war ich bisher jedes Mal seekrank geworden, wenn Siegfried mich zu einem Wochenende auf einem Segelboot überredet hatte. Ich sollte damit überrascht werden, demnächst über der Reling hängen und kotzen zu dürfen?
Franziska war außer sich. Wie kannst du dir das bieten lassen? Siegfried will mal wieder segeln gehen, und du sollst dich darüber freuen und darfst nicht mal bestimmen, wohin es gehen wird. Wehr dich!
Aber wie? Erneut drückte mich das Gefühl nieder, dass es auf mich nicht ankam, dass andere bestimmten, worüber ich mich zu freuen hatte, dass es in diesem Hause nichts gab, was nur für mich war, was mir ganz allein gehörte, worauf ich Anspruch hatte. Kein schönes Gefühl! Wie eine Versagerin kam ich mir vor, wie eine Frau ohne etwas Eigenes, nicht mal mit einem Jodel-Diplom, eine, die später einmal zurückblicken und sich fragen würde, was sie eigentlich aus ihrem Leben gemacht hatte, was sie zurückließ. Eine Frau, mit der man machen konnte, was man wollte! Ich fühlte mich schlagartig mies, total mies. Dabei war das Wetter so schön. Ein milder Frühsommertag mit vielen weißen Schäfchenwolken, hinter denen die Sonne den Tag neckte. Ein Wetter, das Hochstimmung erzeugte. Eigentlich …
Ich konnte ja nicht ahnen, dass sich in diesem Augenblick mein Leben veränderte. Von Grund auf! Dass ich beschloss, am nächsten Abend eine schwarze Netzstrumpfhose zu tragen, die Siegfried garantiert nicht gefallen würde, konnte keine Änderung bewirken, aber trotzdem kam sie auf mich zu, diese Verwandlung, ich sah sie nur noch nicht. Am nächsten Tag würde Franziska es endlich schaffen, mir die Krone aufs Haupt zu drücken. Ausgerechnet an meinem fünfzigsten Geburtstag! Nein, darauf wäre ich wirklich nicht gekommen …