GESTRANDET | DER ZWEITE SYLT-KRIMI MIT MAMMA CARLOTTA
Verlag | Piper
Erscheinungsdatum | Juli 2008
LESEPROBE:
Carlotta Capella begann die zweite Reise ihres Lebens strahlend. Sie strahlte in die sorgenvollen Gesichter ihrer Kinder, die sich mit langatmigen Ermahnungen von ihr verabschiedeten, strahlte, als ihre Enkel sie baten, mit vielen Geschichten zurückzukommen, und sie strahlte, während die gleichaltrigen Frauen ihres Dorfes ein letztes Mal ihre Zweifel an der Unternehmung vorbrachten. Sie strahlte sogar noch, als sie ihren Ältesten, der sie nach Rom zum Flughafen gebracht hatte, ein letztes Mal an sich drückte, und die Bodenstewardessen strahlte sie so lange an, bis eine von ihnen bereit war, sich anzuhören, wie Carlotta Capella in ihrem umbrischen Dorf aufgebrochen war, um die Familie ihrer verstorbenen Tochter zu besuchen. "Vor ein paar Monaten war ich schon einmal auf Sylt. Das war, als dort zwei grausame Morde geschahen. Terribile! Aber mein Schwiegersohn hat die Morde aufgeklärt."
Eigentlich wollte Mamma Carlotta noch erwähnen, welche Rolle sie selbst bei der Ermittlungsarbeit gespielt hatte, aber leider kam es dazu nicht mehr, weil die Wartenden hinter ihr darauf drängten, auch endlich abgefertigt zu werden.
Als sie ihren Platz im Flugzeug einnahm, ging erneut ein Strahlen über ihr Gesicht. Denn sie stellte fest, dass ihre Sitznachbarin eine Frau in ihrem Alter war, und Carlotta Capella kannte keine Frau in den Fünfzigern, die nicht gern plauderte oder sich durch die Plauderei einer anderen die Zeit vertreiben ließ. Jedenfalls war das in ihrem umbrischen Dorf so. Und die Erfahrung, dass diese Bereitschaft nördlich des italienischen Stiefels abnahm, hatte sie mittlerweile erfolgreich verdrängt. Was gab es Schöneres, als einer Reisebekanntschaft die eigene Familiengeschichte zu erzählen und zu hören zu bekommen, welches Glück und Leid eine andere Familie erfahren hatte?
Donata Zöllner hatte zunächst zurückhaltend auf Mamma Carlottas Freundlichkeit reagiert, taute dann aber allmählich auf. Vielleicht, weil sie erkannte, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb. Sie würde sich anhören müssen, was Carlotta zu erzählen hatte, würde selbst wenig zu Wort kommen, und wenn das Flugzeug in Hamburg zur Land ansetzte, viel mehr erfahren haben, als sie wissen wollte.
Genauso kam es. Carlotta Capella erzählte sie von ihren sieben Kindern, den Schwieger- und Enkelkindern, von ihrem armen Dino, der zwanzig Jahre lang ein Pflegefall gewesen war, bis der Himmel ein Einsehen gehabt und ihn zu sich genommen hatte, von ihrer Tochter Lucia, die in der Nähe von Niebüll einem Autounfall zum Opfer gefallen war, von den armen Halbwaisen, die sie hinterlassen hatte, und dem bewundernswerten Schwiegersohn, der die Sylter Verbrecher das Fürchten lehrte.
Donata Zöllner machte, als der Flug zur Hälfte vorbei war, einen erschöpften Eindruck. Daraufhin entschloss sich Carlotta eilig, die Rolle der Erzählenden mit der der Zuhörenden zu vertauschen.. „Wollen Sie in Hamburg Verwandte besuchen?“
Donata Zöllner zögerte. „Ich bleibe nicht in Hamburg“, sagte sie dann. „Ich werde mit dem Zug nach Sylt weiterfahren.“
Erschrocken fuhr sie zusammen, als Carlottas Freudenbezeugung ihr beinahe das Buch vom Schoß fegte, in dem sie anscheinend während des Fluges lesen wollte.
„Wir haben dasselbe Ziel? Das ist ja... portentoso! Einfach herrlich!“ Dann erkundigte sie sich, ob Donata ganz allein Urlaub auf Sylt machen würde. „Oder wird Ihr Mann Ihnen folgen?“
„Ich will keinen Urlaub machen, sondern auf Sylt eine alte Bekannte besuchen", lächelte Donata Zöllner. "Ich habe sie sehr lange nicht gesehen."
Mamma Carlotta war entzückt. Eine alte Bekanntschaften aufleben zu lassen, das war ja noch interessanter als eine Freundschaft über Jahrzehnte zu bewahren. „Splèndida!“ Und als sie hörte, dass Donata Zöllner ihre Freundin Magdalena im zarten Alter von sechzehn Jahren zum letzten Mal gesehen hatte, kannte ihre Begeisterung keine Grenzen. „Benissimo! Hoffentlich werden Sie sich überhaupt wieder erkennen.“
Erik Wolf trat von einem Bein aufs andere. Er fühlte sich unwohl, und das gleich aus mehreren Gründen. Ein multiples Unbehagen, das seine Mundwinkel nach unten zog und in seine Stirn zwei senkrechte Falten grub. Zwei Ausrufzeichen! Ich will hier weg! Ich will meine Ruhe!
Menschenansammlungen waren ihm verhasst, grelle Lautsprecherdurchsagen, eilige, nervöse, unbeherrschte Zeitgenossen ebenfalls. Überdimensionierte Räume konnte er nicht leiden, hochglänzende Fußböden machten ihm Angst, und beim Anblick landender und startender Flugzeuge schmerzte ihn die Sehnsucht nach seiner Insel, nach seinem kleinen Haus, nach den knarrenden Fußböden und den klappernden Fensterläden so sehr, dass er glaubte, es nicht aushalten zu können.
Er steckte die Hände in die Taschen seiner bequemen Cordhose und dehnte sie nach rechts und links. Wie eine der Reusen, in die die Fischer ihre Beute lenkten, so stand er mitten in der Ankunftshalle. Breit und unbequem, aber auch magnetisch wie ein hygroskopischer Köder. Wer in der letzten Fangkammer gelandet war, hatte verloren.
Ja, Kriminalhauptkommissar Erik Wolf kannte keine Gnade, wenn ein Gesetzesbrecher in seinem Netz zappelte. Als er jedoch seine Schwiegermutter von weitem sah, seufzte er hilflos auf, nahm die Hände aus den Taschen und richtete sich mühsam auf. Wäre er ein Fischer, würde er in den nächsten beiden Wochen darauf verzichten, die Netze auszuwerfen, denn um gute Beute zu machen, brauchte man Ruhe und Zeit. Damit aber würde es fürs Erste vorbei sein.
Er war nicht überrascht, als seine Schwiegermutter an der Seite einer Dame in die Ankunftshalle trat, mit der sie in ein inniges Gespräch vertieft war. Mamma Carlotta und ihre Freude am Erzählen, er kannte es zur Genüge! Er brauchte nur an ihren ersten Aufenthalt in Wenningstedt zu denken! Seine Schwiegermutter hatte während der zwei Wochen mehr Bekanntschaften gemacht als er selbst in zwei Jahren. Die Kassiererin von Feinkost Meyer hatte noch gestern nach ihr gefragt, und der Bäcker, bei dem Erik seine Brötchen kaufte, ließ jedes Mal Grüße an sie ausrichten.
Er beobachtete ihre großen Gesten, die jeden Norddeutschen befremdeten, runzelte die Stirn beim Anblick ihrer vibrierenden Löckchen und litt einen winzigen Augenblick an der Frage, ob auch Lucia sich unter der Witwenschaft derart entfaltet hätte, wenn nicht sie, sondern er das Opfer dieses schrecklichen Autounfalls geworden wäre. Erik bewegte den Kopf, um diesen bedrückenden Gedanken abzuschütteln. Nein, nicht an Lucia denken! Es war schwer genug, dass sie in den folgenden zwei Wochen so nah sein würde wie unmittelbar nach ihrem Tod. Die mühsam verheilte Wunde würde wieder aufbrechen, wenn Erik in Carlottas Augen sah, die die gleiche Farbe hatten wie Lucias, wenn er Carlottas Grübchen sah, an denen er sich bei Lucia nicht hatte satt sehen können, wenn er die Stimme seiner Schwiegermutter hörte, die genauso hell war wie Lucias, und das Lachen, das dunkel und rau war. Genau wie Lucias Lachen!
Mürrisch sah er seiner Schwiegermutter entgegen. Die italienische Mamma, die er früher gekannt hatte, in ihrer schwarzen Kleidung, mit dem pflegeleichten Haarknoten, in der Umgebung, in der schnelles und lautes Reden nicht unangenehm auffiel, hätte er unbefangener willkommen geheißen als diese aufgeblühte Witwe, die Lippenstift und Lockenstab im Gepäck hatte, ein längs gestreiftes Kleid trug, als wäre es ihr wichtig, die Figur zu strecken, und über der Schulter einen kleinen Lederrucksack.
Er seufzte, als seine Schwiegermutter strahlend auf ihn zukam, und seufzte noch einmal, als sie die Arme öffnete und schon zehn Meter, bevor sie ihn erreichte, mit den Händen wedelte, als wollte sie ihn in ihre Umarmung locken. „Enrico!“
Dass er sich nicht locken ließ, verstand sich von selbst. Aber dass er trotzdem an ihre Brust gezerrt wurde, leider auch. Als er sich Mamma Carlottas Begleitung zuwandte, hatte er das unangenehme Gefühl, dass seine Schwiegermutter seinem Gesicht das Muster ihres Kleides aufgedrückt hatte.
Donata Zöllner erwies sich zum Glück als angenehm wortkarg, so hatte Erik nichts dagegen, sie in seinem Wagen mit nach Sylt zu nehmen. Mamma Carlotta schien großen Wert darauf zu legen, ihrer Reisebekanntschaft diese Gefälligkeit zu erweisen, und ihm war es lieb, denn Donata Zöllner würde ihm einen Teil der anstrengenden Konversation abnehmen. Das konnte nur von Vorteil sein. Dass diese elegante, sehr distinguiert wirkende Frau wusste, worauf sie sich einließ, setzte er voraus. Wenn sie nach dem gemeinsam verbrachten Flug nichts dagegen hatte, das Zusammensein mit Carlotta Capella zu verlängern, gehörte sie wohl zu denen, die sich an lärmender Unterhaltung erfreuten und nichts dabei fanden, etwas über den Lebenslauf eines italienischen Weinbauern zu erfahren, der siebzehn Kinder von drei Frauen hatte, oder eines Dorfgeistlichen, der den Messwein selbst trank und den Gläubigen Apfelsaft unterschob.
Donata Zöllner schien es sogar zu genießen. Erik warf gelegentlich einen Blick in den Rückspiegel und stellte fest, dass das Lächeln, das in ihrem Gesicht stand, in Niebüll immer noch nicht verschwunden war.
Vor der Verladerampe schlossen sie sich an eine lange Autoschlange an, um auf den Zug zu warten, der sie über den Hindenburgdamm nach Sylt bringen sollte. Sie stiegen aus, um während des Wartens die Luft und die Sonne zu genießen. Dichte Wolken zogen über den Himmel, tief hingen sie, aber sie waren nicht bedrohlich. Hell und bauschig wie dicke Zuckerwatte sahen sie aus, wie Schaumberge in der Badewanne. Und sie ließen Platz für große und kleine Himmelsstücke, die weiß gesprenkelt waren von den Wolkenfetzen, die der Wind aus der Zuckerwatte und den Schaumbergen herausgepustet hatte. Ein freundlicher, lebhafter Himmel!
„Nicht so ein langweiliges Blau wie in Italia“, stellte Mama Carlotta fest.
Erik schenkte ihr ein erstes warmes Lächeln. Dass sie im kalten Norden etwas fand, was dem sonnigen Süden überlegen war, ließ ihn hoffen.
„Warum haben Sie ausgerechnet das Hotel Feddersen gebucht?“, fragte er Donata Zöllner, während Mamma Carlotta sich einem älteren Ehepaar bekannt machte, das ihren italienischen Akzent bemerkt und einen Urlaub in Umbrien erwähnt hatte. „Waren die guten Häuser schon besetzt?“
Obwohl Erik von eleganter Kleidung nicht viel verstand, hatte er doch gleich erkannt, dass das helle Kostüm, das Donata Zöllner trug, teuer gewesen war, das der Aufdruck ‚Hermes’ auf ihrem Halstuch auf gute Qualität schließen ließ und ihr Schmuck und ihre Handtasche ungefähr so viel wert waren wie sein alter Ford.
„Ich habe es in den guten Häusern nicht versucht“, entgegnete Donata leise, als schämte sie sich ihrer schlechten Wahl.
„Ja, in der Hauptsaison ist es schwierig“, gab Erik zurück und blickte in den Himmel, als wollte er sich vergewissern, dass das Wetter dem Juli Ehre machte. In Wirklichkeit jedoch sah er immer in den Himmel, wenn er in Niebüll auf den Autozug wartete. Auf dieser Geraden, die zum Horizont führte, konnte er seine Insel bereits erahnen. Und er genoss es, den Möwen nachzublicken, die das gleiche Ziel hatten, aber vor ihm da sein würden. Er liebte dieses Warten auf seine Rückkehr.
„Ob das Hotel Feddersen das richtige für Sie ist...?“ Er vollendete den Satz nicht, sondern schickte ihn einfach seinem Blick hinterher.
Mamma Carlotta stellte gerade fest, dass das Ehepaar auf seiner Umbrienreise in einem Ort übernachtet hatte, in dem ihre Großcousine väterlicherseits wohnte. Grund genug, vor lauter Freude noch schneller zu reden und noch größere Gesten in die Luft zu schreiben.
Donata Zöllner lächelte, als wollte sie Erik verzeihen, dass er sie für eine Frau hielt, für die das Beste gerade gut genug war. Aber ihr Lächeln zeigte auch, dass er Recht gehabt hatte. „Ich bleibe ja nur ein paar Tage“, meinte sie. „Es wäre unhöflich gewesen, woanders zu wohnen. Ich fahre nach Sylt, um meine alte Freundin Magdalena zu besuchen. Ihr Neffe ist der Besitzer des Hotels Feddersen.“
„Magdalena Feddersen?“ Jetzt ging es Erik beinahe so wie seiner Schwiegermutter, die vor Freude außer Rand und Band war, wenn sie jemanden kennen lernte, der einen anderen kannte, der wiederum mit jemandem verwandt war, den Carlotta kannte. Aber natürlich äußerte sich Eriks Freude anders: Er lächelte und strich seinen Schnurrbart glatt, sein Höchstmaß an Darbietung emotionaler Bewegung. „Ich kenne sie recht gut. Auch ihren Neffen und seine Frau.“
„Magdalena hat Glück gehabt“, sagte Donata. „Sie ist auf dem Aktienmarkt reich geworden.“
Erik nickte. „1997 war das, glaube ich. Da setzte plötzlich alle Welt auf den Neuen Markt. Ein paar, die es richtig gemacht haben, sind Millionäre geworden, andere haben viel oder sogar alles verloren.“
Donata Zöllner nickte. „Magdalena hat klug investiert und rechtzeitig wieder verkauft.
„Ihr Neffe leider nicht“, ergänzte Erik. „Mathis hat damals alles verloren. Seitdem geht sein Hotel den Bach runter. Er müsste renovieren und investieren. Aber wovon?“
Donata nickte. „Magdalena hat mir am Telefon davon erzählt. Noch kurz vor dem großen Crash hatte sie ihren Neffen beschworen, seine Aktien zu verkaufen. Aber er wollte nicht auf sie hören. Er glaubte, die Kurse würden bald wieder anziehen.“
Erik warf seiner Schwiegermutter einen nervösen Blick zu. Aber die hatte gerade die Entdeckung gemacht, dass das Ehepaar, das einmal in Umbrien gewesen war, sogar in der Trattoria gegessen hatte, die der Mann ihrer Großcousine mit Gemüse belieferte. Darüber hatte sie ihren Schwiegersohn vergessen und ihn einer Konversation überlassen, die ihn anstrengte.
Er redete nicht gern mit Zufallsbekanntschaften, erzählte ungern von sich und wollte von fremden Intimitäten nichts wissen. Aber da er Donata sympathisch fand, gab er sich Mühe. „Haben Sie Ihre Freundin lange nicht getroffen?“, fragte er.
„Wir waren noch sehr jung, als wir uns das letzte Mal sahen“, antwortete Donata und schaute lange einer Möwe nach, die ihre Flügel spreizte und sich auf den Wind legte. „Und die Umstände waren nicht gerade erfreulich. Aber das war in einem anderen Leben. Eigentlich war es sogar schon vergessen ...“
Die Möwe war längst zu einem winzigen Punkt am Himmel geworden, Teil eines Schwarms anderer winziger Punkte. Aber Donata starrte trotzdem noch hinauf.
Erik beobachtete, wie seine Schwiegermutter mit dem Austausch von Adressen eine gerade mal neun Minuten alte Bekanntschaft besiegelte und sie in der zehnten Minute sogar Freundschaft nannte. „Du kennst nicht mal den Namen der Leute“, brummte er in Mamma Carlottas Strahlen hinein, „und verbrüderst dich schon mit ihnen.“
Aber ihr Strahlen verlor keinen einzigen Funken. „Sie werden mich besuchen, wenn sie noch einmal nach Umbrien kommen.“
Erik warf Donata Zöllner einen Blick zu, in der Hoffnung, in ihren Augen ein kleines Lächeln zu finden, das sie zu seiner Komplizin machte in der Beurteilung italienischer Lebensart. Aber Donata sah erneut in den Himmel, als wollte sie von nun an trotz der Gesellschaft ihrer Reisebegleiter allein bleiben.
Dann kamen einige der Autofahrer aus dem Bistro, und schon rumpelten die ersten Wagen auf den Autozug, Donata wühlte in ihrer Tasche herum, bis sie fand, was sie suchte: ein Buch, das sie aufschlug, kaum dass sie sich im Fond des Wagens niedergelassen hatte. Erik sah ungläubig in den Rückspiegel. Sie wollte lesen, während der Sylt-Shuttle dem Meer entgegenfuhr? Während die würzige Nordseeluft durchs geöffnete Fenster drang? Während der Zug gemächlich in See stach, verfolgt von kreischenden Möwen?
Ja, sie tat es wirklich. Und damit verlor sie einen Teil der Sympathie, die Erik ihr entgegengebracht hatte. Er liebte es, wenn das Festland hinter ihm verschwand, noch ehe die Insel sichtbar wurde, wenn der Zug ins Nichts führte und man sich wunderte, dass noch etwas kam, und sich darauf freute, weil es sicher war, dass es kommen würde.
Aber Donata Zöllner spürte nichts von dieser Erwartung, sie hatte nicht einmal einen Blick für die Schönheiten des Wattenmeeres, das sich gerade, kaum merklich, vom Meer vereinnahmen ließ. Erik konnte seiner Schwiegermutter nachsehen, dass sie angesichts des Friedens, der über dem Watt lag, in laute Verzückung ausbrach. Aber ungerührt die Seiten umblättern, während sich vor den Fenstern dieser Frieden ausdehnte? Nein, das war nicht zu entschuldigen.
Erik lächelte Mamma Carlotta an und bereute nun, dass er nicht mit ihr allein geblieben war. Sie erkannte wie er den Frieden, der über dem Watt lag, er spiegelte sich in ihren Augen. Sie genoss ihn, obwohl der Wind die Oberfläche aufrieb, sodass sie rau wurde und Kälte spiegelte. Sie verzichtete sogar darauf, fröstelnd die Arme um den Oberkörper zu schlagen, weil die Sylter Sonne nur eine müde Verwandte jener Sonne war, die auf Umbrien hinab brannte.