Satirepreis

Satirepreis der Stadt Boppard für die satirische Kurzgeschichte

ÜBER DEN RHEINISCHEN HUMOR

Ich liebe den rheinischen Humor. Nichts im Leben ist so funda-mental, so abgesichert wie dieser bodenständige Frohsinn. Ein Bollwerk, auf das sich eine Frau, die komplizierte Beziehungskisten satt hat, vertrauensvoll stützen darf. In welche Unsicher-heiten hat uns seit jeher die dünkelhafte männliche Intelligenz und ihre berühmte Logik gestürzt! Identitätsprobleme, umständliche Standortsuche und anstrengende Kompensation unserer Minderwertigkeitsgefühle waren die Folge. Da lobe ich mir als allein stehende Frau doch den Mann mit dem handfesten rheinischen Humor, mag er in anderen Bundesländern auch als grob, selbstgefällig, zweckgerichtet oder eigennützig gelten. Bei einem Mann, der mit ihm ausgestattet ist, weiß man wenigstens, woran man ist. Ich werde Ihnen an einem Beispiel klar machen, was ich meine.
Kennen Sie auch das Gefühl, wenn man als Frau allein durch die ausgestorbenen Straßen einer Stadt geht? Zur rechten und zur linken nur heruntergelassene Jalousien und dahinter friedliche Schläfer, die auf dem sanften Ruhekissen ihres mit Humor besänftigten Gewissens ruhen? Da muss man sich, auch in einer rheinischen Großstadt, des landläufigen Frohsinns schon sehr bewusst sein, um sich nicht zu fürchten vor den schwarzen Abgründen zwischen den Häusern.
Aber wenn sich dann eine Tür öffnet. Diese Erleichterung, nicht mehr allein zu sein. Was sagen Sie? Sie meinen, es könne ja ein Mann sein, und ich hätte mich vor ihm zu fürchten? Als allein stehende Frau? Mitten in der Nacht? Wo denken Sie hin. Hier wohnen brave rheinische Familienväter mit Sinn für Humor. Passen Sie auf:
"So allein noch unterwegs, meine Süße?"
Da hört man doch gleich die Anteilnahme an meinem Geschick heraus. Die rheinische Frohnatur geht nicht achtlos am Nächsten vorbei. So etwas tut gut, sage ich Ihnen.
"Wie wär's denn mit uns beiden, Schnuckelchen?"
Ich frage Sie, wo erlebt man das sonst? Diese Bereitschaft, sich des anderen anzunehmen. Sein Schicksal mitzutragen. Ohne Pathetik. Ohne diese unangebrachte Distinktion, die so verlogen klingt und nur zu ähnlich scheinheiligen Dankesbezeugungen Anlass gibt. Nein, mit rheinischem Humor, mit diesen reizenden kleinen Kosungen. Schnuckelchen. Ist das nicht ungemein frohsinnig?
"Dir möchte ich gern mal kräftig einheizen, kleine Schlampe."
Das ist wieder so typisch für den fröhlichen, warmherzigen Rheinländer. Macht sich Sorgen darum, ob ich friere. Greift mir sogar an den Hintern, als ob er wüsste, dass mir da immer zuerst kalt wird. Und was ein echter Rheinländer ist, dem wird seine eigene Großherzigkeit leicht peinlich. Er will doch nicht mit seinem guten Herzen protzen. Deswegen lässt er nach altem humorvollen Brauch ein kleines munteres Schmähwort einfließen. Damit die Sentimentalität nur nicht um sich greift. Man könnte ja sonst zu Tränen gerührt sein. Und das widerspricht dem Frohsinn natürlich. Geweint wird nur am Aschermittwoch.
Und dann, bei aller ausgelassenen Heiterkeit, der Takt des feinsinnigen Rheinländers. Sehen Sie, kaum biegt ein ebenso rheinländisches Ehepaar um die Ecke, lässt der lustige Gesell von mir ab. Seine Diskretion verbietet ihm, die soeben entstandene herzliche Beziehung zwischen uns beiden zu offenbaren. Er will mich ja nicht kompromittieren. Schnell wird er also auf die beiden zugehen, als sei nichts gewesen.
"Auch so spät noch unterwegs?"
"Mein Schwager hat Geburtstag. Da muss man ja..."
"So ist es richtig. Man soll die Feste feiern, wie sie fallen."
"Ich wollte nur schnell ein paar Zigaretten..."
Ich gehe natürlich weiter. Schließlich ist mein Humor genau so dezent wie der des Rheinländers. Wozu komme ich jedes Jahr zum Weinfest hierher? Das färbt ab.
Das fröhliche Hin und Her des Dialogs hat sein Ende gefunden. Eigentlich müsste die rheinische Frohnatur mir jetzt folgen. Am Ende der Straße sehe ich mich um. Wo bleibt er nur, der fröhliche Rheinländer? Da steht er doch tatsächlich vor dem Gartenzaun eines Hauses. Breitbeinig, leicht schwankend, den Mantel geöffnet, den Oberkörper nach hinten geneigt. Ich kann den Strahl im Mondlicht fröhlich glitzern sehen, den er unbekümmert in die Narzissen pinkelt. Er unterwirft sich eben nicht den einengenden Karrees einer ungepflegten Bedürfnisanstalt. Die Offenherzigkeit des Rheinländers kennt keine Grenzen. Ich liebe sie.